Einsamer Tod im Hochhaus

Einsamer Tod im Hochhaus - Was Nachbarn über den Verstorbenen erzählen

Nach dem Fund eines verwesten Leichnams in Halle wird weiter ermittelt. Nachbarn beklagen anonymes Nebeneinanderherleben.

Vier Aufgänge, mehr als 160 Wohnungen: In diesem Neustädter Block ist ein 56-Jähriger erst Tage nach seinem Tod gefunden worden. Fotos: Marvin Matzulla

Die Frau am Müllcontainer weiß am Mittwochvormittag sofort, von wem die Rede ist. Gerade hat sie sich mit einer Nachbarin aus dem Elfgeschosser in der Neustädter Otto-Dix-Straße über den Mann unterhalten, dessen Leichnam am Montagabend abgeholt worden ist. Der Tote muss schon mehrere Tage in seiner Wohnung im Erdgeschoss gelegen haben. Beißender Verwesungsgeruch im Treppenhaus hatte den Sicherheitsdienst auf den Plan gerufen, die alarmierte Feuerwehr öffnete schließlich die Tür zu der Wohnung, in der der 56-Jährige nach MZ-Informationen zu Hause war.

„Schlimm!“ Die 83-jährige Nachbarin, seit 1970 in dem Hochhaus zu Hause, schüttelt den Kopf. Auch der Verstorbene habe seit vielen Jahren in dem Block gelebt, anfangs mit Frau und Kind, nach der Scheidung allein mit dem Sohn, der längst erwachsen und ausgezogen sei. Später habe sie ihn oft mit seiner Freundin gesehen, erzählt die Nachbarin, bis auch diese Beziehung wohl zerbrochen sei. Dass er ansonsten Besuch bekommen hätte, sei ihr nicht bekannt. Sie könne aber nichts Schlechtes über den Mann sagen, betont sie. Er habe immer freundlich gegrüßt und sei auch arbeiten gegangen.

Mehr allerdings wisse sie auch nicht, und das sei in dem Haus nicht ungewöhnlich. Die Altmieter, viele wie sie bald nach Fertigstellung des Hauses 1969 eingezogen, seien häufiger in Verbindung, zu anderen gebe es eigentlich keinen engen Kontakt. Man lebe eher so nebeneinander her. 

Otto-Dix-Straße 2: In diesem Aufgang hat der Mann gewohnt. (Foto: Marvin Matzulla)

Einen zunehmenden Trend zur Anonymität in der Nachbarschaft kann Thomas Morgner, Einsatzleiter bei der Firma Sicherheitsmanagement Halle, dennoch nicht bestätigen. Seit knapp fünf Jahren laufen Mitarbeiter des Unternehmens im Auftrag von drei Hausverwaltungen in mehreren Neustädter Blocks Streife, auch in der Otto-Dix-Straße. „Es gibt die, die aufgeschlossen sind und Kontakt zu vielen halten“, sagt er. „Andere sind wirklich allein, oft aber auch, weil sie niemanden an sich heranlassen.“ Das seien allerdings nicht die meisten, hat Morgner beobachtet. Und doch komme es immer wieder vor, dass jemand unbemerkt versterbe. Auch in dem Elfgeschosser in der Otto-Dix-Straße: An den Zeitpunkt könne er sich nicht genau erinnern, sagt der Einsatzleiter.

Vor vier, fünf Jahren aber sei in dem Haus bereits ein vor längerer Zeit verstorbener Mieter gefunden worden. Und erst vor einigen Monaten habe man auf Initiative des Sicherheitsdienstes in der Albert-Einstein-Straße einen ebenfalls verstorbenen Mieter entdeckt. „Unsere Leute kannten ihn und wollten nach ihm schauen, weil von ihm nichts zu sehen und zu hören war“, erzählt Morgner. Der 56-Jährige aus der Otto-Dix-Straße sei den Wachmännern dagegen nicht bekannt gewesen.

Halles Sozialbeigeordnete Katharina Brederlow (SPD) äußert sich nicht zu Einzelfällen, macht aber deutlich, sie sehe auch die Nachbarschaft in der Pflicht, aufeinander achtzugeben. „Der Staat kann vieles machen, Verantwortung liegt aber auch bei der Zivilgesellschaft.“ Die Beigeordnete verweist auf viele hallesche Angebote, Einsamkeit zu entgehen: Treffs der Wohnungsunternehmen zum Beispiel, den Seniorenbesuchsdienst „Klingelzeichen“, Kultur- und Sportvereine und auf die Telefonseelsorge. „Da braucht man sich nicht einmal aus dem Haus zu begeben.“

Versiegelt: Die Wohnung ist noch nicht freigegeben. (Foto: Marvin Matzulla)

In dem Neustädter Fall sind die Behörden derweil weiter mit der Ermittlung der Todesursache beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft strebe eine Obduktion an, berichtete Polizeisprecher Thomas Müller am Mittwoch. Es sei auch nicht abschließend geklärt, ob es sich bei dem Mann um den Mieter handelt. Nach MZ-Informationen geht man allerdings davon aus.

Neben dem Toten, der auf der Couch in seinem Wohnzimmer gelegen haben soll, fanden die Einsatzkräfte auch eine Katze in der Wohnung. Sie ist ins Tierheim gebracht worden.